Auch einen Tag nach der Bundestagswahl steht - allen Unkenrufen und Islamisten-Drohvideos zum Trotz - die Rügen-Brücke noch. Ebenso wie der Kölner Dom, die Bankentürme in Frankfurt, das Brandenburger Tor, der Hamburger Hauptbahnhof oder das Oktoberfest in München. Schwarz-gelb hat gewonnen und Angela Merkel holte ihren Wahlkreis in Rügen/Stralsund sogar mit dem Rekordergebnis von fast 50%. An der Kriegspolitik in Afghanistan wird sich also nichts ändern. Im Gegenteil: Die "Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch" geht verstärkt weiter. Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung hin oder her.
Die Handlung des Politthrillers "Aktion Störtebeker" bleibt deshalb auch nach der Wahl aktuell. Denn die Gefahr eines spektakulären Anschlags ist keineswegs gebannt. Die islamistische Terroristenszene hat in den letzten Wochen eine solche Drohkulisse aufgebaut, dass - wenn die Dschihadisten bei ihren Anhängern nicht die Glaubwürdigkeit verlieren wollen - den großspurigen Ankündigungen nun irgendwann auch Taten folgen müssen. Und für die neue Bundesregierung gilt Ähnliches: Auch sie muss beweisen, dass die vor den Wahlen geschürte Sicherheitshysterie keine heiße Luft war.
Darum heute die nächste Eskalationsstufe: Flugverbot über der Münchner Wiesn, Sperren für den Taxiverkehr, Polizeikontrollen und die prophylaktische Festsetzung von zwei angeblichen Gefährdern. Weil der eine über seinen Bruder Kontakt zu dem Sprecher in einem Drohvideo gehabt haben soll, bleibt er bis zum Ende des Oktoberfests am 4.10. hinter Gittern. "Es handelt sich um eine rein vorbeugende Maßnahme, den beiden Männern werden keine Straftaten vorgeworfen", schreibt die FAZ.
Man muss sich das mal genau überlegen: Da hat jemand einen Bruder, der einen kennt, der ein Drohvideo verfasst hat. Und wandert deshalb für mehrere Tage in den Knast. Eine Straftat wird ihm nicht vorgeworfen. Auf die FDP, die sich gestern als Verteidiger der Bürgerrechte dargestellt hat, wartet eine Menge Arbeit. Ich bin gespannt, ob sie sich bei ihrem neuen Koalitionspartner für die Freilassung der beiden Festgehaltenen einsetzt?
28.09.09
26.09.09
Neue Islamisten-Videos: Win-Win-Situation für Regierung und Terroristen
Wenige Stunden vor der Öffnung der Wahllokale in Deutschland sind neue Videos im Web aufgetaucht, in denen islamistische Gotteskrieger vor Anschlägen warnen. Nach der Internationalen Dschihad Union und Al Kaida (sogar Bin Laden nutzte für seine letzte Botschaft deutsche Untertitel) nun also die deutschen Taliban aus Afghanistan mit einem professionell produzierten Video.
Für den CDU-Innenminister und die Dschihadisten führt diese Medienoffensive zu einer regelrechten Win-Win-Situation: Die Gotteskrieger bekommen eine noch nie dagewesene Medienöffentlichkeit, selbst wenn ihre Vertreter vor roten Plüschvorhängen absurdes Zeug absondern. Und die gegenwärtige Regierung kann sich mit schwerbewaffneten Bundespolizisten vor Bahnhöfen und Flughäfen als Garant für unsere Sicherheit aufspielen.
Gleichzeitig wird Stimmung für weitergehende Angriffe auf die Demokratie (wie zum Ausstattung des Verfassungsschutzes mit Polizeifunktionen) gemacht. Und das Engagement für einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan lässt sich auch noch schön diffamieren. Schließlich ist das auch die Hauptbotschaft der diversen Drohvideos.
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19.09.09
Ein Islamisten-Video zur passenden Zeit
Nachdem der Afghanistan-Krieg und die Forderung nach Abzug der deutschen Truppen vom Hindukusch nun in den letzten Wochen doch noch den Wahlkampf erreicht hat und die Regierung in die Defensive geraten ist, musste etwas passieren. Zumal die ständigen Warnungen des Bundesinnenministers vor einem bevorstehenden Terroranschlag noch vor den Wahlen langsam immer langweiliger wurden.
Und tatsächlich: Gestern taucht ein ominöses Video des Bonner Islamisten Bekkay Harrach mit neuen Drohungen auf. Fachmännisch verbreitet von den PR-Profis der "Globalen Islamische Medien-Front" (GIMF). Und die Medien fahren darauf ab. Denn damit kann man schöne reißerische Überschriften machen und die Angst im Land schüren. Die Bundesregierung reagiert auch gleich, verkündet die "Alarmstufe Gelb" und lässt die Bundespolizisten an Flug- und Bahnhöfen mit Maschinenpistolen bewaffnet und Sicherheitswesten ausgestattet "verstärkt Ausschau nach verdächtigen Personen oder Gegenständen halten".
Das Kalkül: Angesichts dieser greifbaren Bedrohung werden die Wähler sich doch für "Sicherheit und Ordnung" entscheiden und vor allem nicht weiter den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan verlangen. Denn von dort geht schließlich - wie die neue Videobotschaft zeigt - die Gefahr aus.
Dabei ist das Filmchen des "Al Kaida-Praktikanten" eher skurril. Da steht ein flüsternder Jüngling in einem schwarzen Anzug und mit blauer Krawatte vor einem roten Samtvorhang und erzählt meist wirres Zeug. Wieso ausgerechnet Kiel kein Angriffsziel sein soll, ist nur eine der Merkwürdigkeiten. Aber egal, Hauptsache er passt ins aktuelle politische Konzept und lenkt von der schärfer werdenden Diskussion um den Krieg ab.
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass das von den Sicherheitsbehörden immer wieder beschworene Szenario eines "Terroranschlags im Vorfeld der Bundestagswahlen" (das auch in meinem Krimi "Aktion Störtebeker" der Rahmen der Handlung ist) tatsächlich eintreten wird. Da ist es dann gut, dass mit dem neuen Video von "Abu Talha - Der Deutsche" die Geschichte über den 27. September hinaus weiter gesponnen werden kann.
Denn jetzt heißt es plötzlich: "Wenn am nächsten Sonntag die Kriegsbefürworter eine Mehrheit erhalten, dann kommt es zu einem Anschlag in Deutschland". Da davon - angesichts der Haltung von CDU, SPD, FDP und Grünen - auszugehen ist, wird sich nun das publizistische Trommelfeuer gegen die einzige Partei im Bundestag richten, die für den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist. Wetten?
Nachtrag: In einem Kommentar schreibt die "Welt am Sonntag" am 20.9. "Der junge Mann hat einen Hang zur Kostüm-Klamotte. Nun also mimt er den Seriösen und erklärt den Deutschen mit sanfter Stimme, warum sie die Linke wählen müssen. Das ist schließlich die einzige Partei, die wie Harrach den sofortigen Abzug der deutschen Soldaten vom Hindukusch fordert."
Und tatsächlich: Gestern taucht ein ominöses Video des Bonner Islamisten Bekkay Harrach mit neuen Drohungen auf. Fachmännisch verbreitet von den PR-Profis der "Globalen Islamische Medien-Front" (GIMF). Und die Medien fahren darauf ab. Denn damit kann man schöne reißerische Überschriften machen und die Angst im Land schüren. Die Bundesregierung reagiert auch gleich, verkündet die "Alarmstufe Gelb" und lässt die Bundespolizisten an Flug- und Bahnhöfen mit Maschinenpistolen bewaffnet und Sicherheitswesten ausgestattet "verstärkt Ausschau nach verdächtigen Personen oder Gegenständen halten".
Das Kalkül: Angesichts dieser greifbaren Bedrohung werden die Wähler sich doch für "Sicherheit und Ordnung" entscheiden und vor allem nicht weiter den Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan verlangen. Denn von dort geht schließlich - wie die neue Videobotschaft zeigt - die Gefahr aus.
Dabei ist das Filmchen des "Al Kaida-Praktikanten" eher skurril. Da steht ein flüsternder Jüngling in einem schwarzen Anzug und mit blauer Krawatte vor einem roten Samtvorhang und erzählt meist wirres Zeug. Wieso ausgerechnet Kiel kein Angriffsziel sein soll, ist nur eine der Merkwürdigkeiten. Aber egal, Hauptsache er passt ins aktuelle politische Konzept und lenkt von der schärfer werdenden Diskussion um den Krieg ab.
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass das von den Sicherheitsbehörden immer wieder beschworene Szenario eines "Terroranschlags im Vorfeld der Bundestagswahlen" (das auch in meinem Krimi "Aktion Störtebeker" der Rahmen der Handlung ist) tatsächlich eintreten wird. Da ist es dann gut, dass mit dem neuen Video von "Abu Talha - Der Deutsche" die Geschichte über den 27. September hinaus weiter gesponnen werden kann.
Denn jetzt heißt es plötzlich: "Wenn am nächsten Sonntag die Kriegsbefürworter eine Mehrheit erhalten, dann kommt es zu einem Anschlag in Deutschland". Da davon - angesichts der Haltung von CDU, SPD, FDP und Grünen - auszugehen ist, wird sich nun das publizistische Trommelfeuer gegen die einzige Partei im Bundestag richten, die für den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ist. Wetten?
Nachtrag: In einem Kommentar schreibt die "Welt am Sonntag" am 20.9. "Der junge Mann hat einen Hang zur Kostüm-Klamotte. Nun also mimt er den Seriösen und erklärt den Deutschen mit sanfter Stimme, warum sie die Linke wählen müssen. Das ist schließlich die einzige Partei, die wie Harrach den sofortigen Abzug der deutschen Soldaten vom Hindukusch fordert."
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17.09.09
Frau Merkel und die Fischer: Eine PR-Aktion der Bildzeitung
Der überraschende Besuch der Bundeskanzlerin bei den Fischern von Lobbe auf der Insel Rügen und ein verschwundener Beitrag in der Ostsee-Zeitung mit kritischen Bemerkungen haben mir ja schon in der letzten Woche ein Rätsel aufgegeben. Heute nun die Auflösung: In der Bildzeitung. Das Springer-Blatt feiert groß die "Reise in die Vergangenheit" der Kanzlerin. Denn es hat sie wohl selbst organisiert.
BILD hat zwei dieser Männer wiedergefunden und ein Treffen mit Angela Merkel arrangiert – 19 Jahre danach, im gleichen Ort, in der gleichen Hütte!Von den kritischen Bemerkungen der Fischer über nicht gehaltene Wahlversprechen der damaligen Bundestagskandidatin - die in der Ostsee-Zeitung wenigstens ansatzweise vorkamen - ist in Bild nun keine Rede. Der Artikel ist eine einzige Jubelarie über eine verständnisvolle Kanzlerin, die aufmerksam zuhört und sich im Interview als "eine von uns" präsentieren darf. Der Höhepunkt dieser Art von PR-Journalismus ist aber der Abschluß der Lobeshymne:
„Klar hat sie viel wichtigere Dinge im Sinn als uns hier in Lobbe“, sagt Bull. „Trotzdem ist es toll, dass sie hier war. Und eins steht fest: Ich habe sie damals gewählt, ich werde sie auch diesmal wählen.“Was jetzt nicht besonders verwunderlich ist, denn Fischer Hans-Joachim Bull ist langjähriges CDU-Mitglied. Aber das braucht der Bild-Leser ja nicht zu wissen.
In der Ostsee-Zeitung wird Bull zu den neuen Hilfsversprechen seiner Parteifreundin übrigens so zitiert: "Diesmal sollte sie sich aber keine 19 Jahre Zeit lassen, dann gibt es nämlich keine Fischer mehr bei uns."
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16.09.09
Hörfehler beim Sauerland-Prozess und Neonazis im Terrorcamp
Darüber könnte man noch Schmunzeln: Laut bild.de soll die zur Zeit in Düsseldorf vor Gericht stehende "Sauerland-Gruppe" auch ein Sprengstoff-Attentat auf den Papst geplant haben. Andere Prozess-Beobachter wie der darüber kontinuierlich bloggende "ARD-Terrorismusexperte" Holger Schmidt haben von diesem schlagzeilenträchtigen Geständnis allerdings nichts mitbekommen.
Des Rätsels Lösung: Der Berichterstatter der Nachrichtenagentur ddp hat sich offensichtlich verhört. Der Hauptangeklagte sprach von "Pubs" als möglichem Anschlagsziel, nicht vom Oberhaupt der katholischen Kirche. Für bild.de ist das allerdings kein Grund zur Korrektur der Sensationsmeldung. Hauptsache die Schlagzeile macht schön Stimmung.
Keine Meldung in den meisten bundesdeutschen Medien ist dagegen die Nachricht wert, dass sich offensichtlich bundesdeutsche Neonazis in einem Terrorcamp in Ungarn militärisch drillen lassen. Nachdem die junge welt vor ein paar Tagen darüber berichtet hatte, sind jetzt auch die Behörden in dem Land aufgewacht und ermitteln gegen die braunen Terroristen. Die konnten bisher unbehelligt das Töten von Menschen trainieren und bis heute auf YouTube dafür sogar werben.
Das Camp fand vom 10. bis 14. Juli 2009 in einem privaten Waldgebiet unweit der westungarischen Stadt Györ statt. Fotos der Veranstaltung zeigen eine größere Zahl uniformierter und mit Maschinenpistolen bewaffneter Neonazis beim paramilitärischen Training. Neben Exerzier-, Gelände- und Schießübungen wurde die Erstürmung von Häusern geprobt.
Hinter dem Terrorcamp steckt Ungarns älteste Neonazi-Gruppe, die Magyar Nemzeti Arcvonal (MNA, Ungarische Nationale Front) und ihre Jugendorganisation „Vándorsólyom“ (VTE, Wanderfalke), die gleichzeitig den paramilitärischen Arm der Organisation bildet. Die MNA bezeichnet sich als "Eliteformation auf nationalsozialistischer Grundlage“.
Mögliche Verbindungen der MNA zur deutschen Neonaziszene, die bei der aktuellen Debatte in den ungarischen Medien eine große Rolle spielen, sind derzeit Gegenstand von zwei parlamentarischen Anfragen im Bundestag, die von der stellvertretenden Parlamentspräsidentin Petra Pau (Die Linke) eingereicht wurden. Sie will unter anderem wissen, ob Deutsche an den ausländischen Terrorcamps teilgenommen haben. Ungarische Zeitungen bezeichnen die MNA-Funktionäre Róbert Lajdi und Károly Dobszay als „Verbindungsmänner zu den nationalradikalen Gruppierungen in Deutschland“. Sie sollen sowohl die ungarische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.
So ganz falsch ist die Neonazi-Spur in "Aktion Störtebeker" also nicht. Und so eine Ausbildung macht auch niemand nur so aus Spaß mit. Irgendwann wollen diese aufgeputschten Glatzköpfe ihr erlerntes militärisches Wissen auch einsetzen. Es macht schon Angst, wenn die schriftstellerische Phantasie von der Realität immer wieder eingeholt wird.
11.09.09
Amazon-Krimiumfrage: Gewünscht wird viel Blut
Der Online-Buchhändler Amazon.de hat gerade wieder einmal eine Krimiumfrage durchgeführt. Im Zeitraum vom 20. August bis 01. September 2009 beteiligten sich daran 928 Leserinnen und Leser. Das Ergebnis zusammengefasst:
Wer den perfekten Krimi plant, braucht ein internationales Umfeld, Psycho-Spannung, mindestens einen Mord und sehr viel Blut – und das über alle Geschlechter- und Altersgrenzen hinweg. Dabei ist aber zu berücksichtigen, ob der Krimi für Männer oder Frauen geschrieben ist: Immerhin wollen 9% der weiblichen Fans bereits nach wenigen Seiten den Täter kennen, bei den männlichen Krimilesern sind dies nur 5%. Dafür halten Männer das eigene Geschlecht zu 74% für den raffinierteren Täter – nur 40% der Frauen trauen den Männern diese Raffinesse zu.
Das Vorurteil, Krimileser würden zuerst die letzten Seiten eines Buches lesen, lässt sich zu Teilen bestätigen. Immerhin geben 19% der Frauen an, zumindest hin und wieder direkt nach dem Ende zu schauen. Männer können sich weitaus besser zügeln: 90% der männlichen Krimifans würden niemals zuerst das Ende eines Buches lesen.
Wer möchte in seinen Lieblingskrimis auf keinen Fall auf Sex & Crime verzichten? 81% der Frauen und 77% der Männer zwischen 30 und 40 bestehen auf blutige Verbrechen. Bei Erotik gehen die Meinungen sehr viel stärker auseinander: So bestehen von den 50 bis 59-jährigen Männern 45% auf einen extra Schuss Erotik, während es bei gleichaltrigen Frauen nur 14% sind.
Soweit die Presseinformation zu der Umfrage.Grundsätzlich sind die Krimifans auf Amazon.de wahre Bücherwürmer: 45% der Frauen und 34% der Männer geben an, jede Woche Krimis zu lesen. Insgesamt schmökern nur 4% der Befragten weniger als alle sechs Monate in einem Krimi. Übrigens: Je älter die Befragten waren, desto häufiger greifen sie zu einem Kriminalromah. Von 27% der Unter-19-jährigen wächst die Anzahl der wöchentlichen Leser auf 63% bei den 60 bis 69-jährigen.
Also müsste es eigentlich auch genügend potenzielle Interessentinnen und Interessenten für "Aktion Störtebeker" geben. Allerdings ist die Konkurrenz auch riesig. In einer Buchhandlung in Stralsund, die den Rügenkrimi mit Kommissar Bratfisch sogar dankenswerterweise im Schaufenster präsentiert, habe ich gestern alleine 15 Regionalkrimis mit Ostsee-Bezug gezählt. Da muss wohl selbst der eifrigste Bücherwurm kapitulieren.
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09.09.09
Nostalgietour auf Rügen: Die Spuren von Ferien, Fisch & FKK
Nein, bei mir ist nicht - wie beim Autoren dieses Berichtes in der Welt "die Ostalgie in Entsetzen umgeschlagen". Eher in Langeweile. Unter dem etwas eigenartigen Titel "20 Jahre Mauerfall: Auf den Spuren von Ferien, Fisch & FKK" (Hier der PDF-Flyer) hat die Tourismuszentrale Rügen eine eintägige Bustour über die Insel entwickelt und groß angekündigt:
Gemäß dem Motto „sag mir wie es damals war, zeig mir wie es heute ist“ erfahren interessierte Urlauber, wo einst die Politprominenz der DDR residierte, wo FDGB-Urlauber – wenn sie viel Glück hatten – ihren Jahresurlaub verbrachten, wie es in Sassnitz, einem der größten Fischerei- und Handelshäfen der DDR, zuging und wie am Kap Arkona die „Seegrenze“ des sozialistischen deutschen Staates überwacht wurde.
Klingt ja ganz interessant und ich wollte schon immer mal dran teilnehmen. Gestern - bei der in dieser Saison vermutlich letzten - Erinnerungstour habe ich es nun endlich geschafft. Mit sieben zahlenden Teilnehmern zählte sie sogar zu den besser besuchten. Viele der seit Juni wöchentlich angebotenen Fahrten sind wohl mangels Interesse sogar ganz ausgefallen. Dabei gab es jede Menge Presseberichte dazu.
Los ging es am Morgen im Cliff Hotel in Sellin – früher als "Erholungsheim Baabe" eine Einrichtung des ZK der SED, in dem vor allem führende Funktionäre von Bruderparteien aus aller Welt ihren Urlaub verbrachten. Egon Krenz soll auch öfters dagewesen sein. Erich Honecker dagegen nur einmal, als er seine Frau Margot hier absetzte. Wir landeten zunächst in der ehemaligen Mitarbeiterkantine, die nach der Wende als Abstellkammer zweckentfremdet und erst vor ein paar Monaten entrümpelt wurde. Was den Vorteil hatte, dass die Originaleinrichtung erhalten ist und der Raum sogar noch immer nach DDR riecht.
Auch der berühmte "Bonzen-Aufzug" (den Kommissar Bratfisch in "Aktion Störtebeker" als junger Volkspolizist einmal bewachen musste) ist noch da und wurde ausgiebig besichtigt. Ansosten haben wir erfahren, dass das in den Medien immer gerne so genannte "luxuriöse Resort-Hotel mit fünf Sternen" derzeit gar keine Sterne hat und auf seine Re-Zertifizierung wartet.
Über die nächste Station der Nostalgietour - den Hafen von Sassnitz - gab es im Zusammenhang mit dem Thema "20 Jahre Wende" nicht viel zu erfahren. Es fand lediglich das übliche Touristenprogramm statt: Fischbrötchen direkt vom Kutter und Schiffsfahrt zu den Kreidefelsen.
Am nächsten Highlight "Kap Arkona" war es dann umgekehrt. Statt der üblichen Leuchtturmbesichtigung und der Wanderung zum Fischerdörfchen Vitt stand hier das Eintauchen in die unterirdische Bunkerwelt des Führungsstabes der 6. Flottille der Volksmarine auf dem Programm. Unter Führung des ehemaligen Polit- und späteren Presseoffiziers Ernst Heinemann, der heute ehrenamtlicher Bürgermeister des Ortes Putgarten (Bündnis für Rügen) ist und gerne auch als der „König von Arkona“ bezeichnet wird. Der umtriebige Macher (der auch der letzte Parteisekretär in der Flottile gewesen sein soll) hat seine eigene Sicht auf die Wende vor 20 Jahren und die aktuelle Weltlage.
Dass Atombunker überall auf der Welt nicht wirklich dem Schutz ihrer Insassen dienen und deshalb abgeschafft gehören, kann man nachvollziehen. Doch seine Position, mit einer alten DDR-Verfassung in der Hand nachdrücklich unterstrichen, dass das DDR-Militär unter keinen Umständen auf das eigene Volk geschossen hätte, würde ich nicht unbedingt teilen. Zum Glück ist der Befehl dazu nicht gekommen und insofern hat Heinemann natürlich recht, dass der gewaltlose Übergang ohne einen einzigen Schuß sicher zu den wichtigsten Leistungen der damals Handelnden gehört.
Trotzdem: Sein Konzept, in den ehemaligen Bunkergängen unkommentiert Fotos, Orden, Schriftstücke, Inventar und Uniformen (einschließlich seiner eigenen) auszustellen, damit sich jeder Besucher selbst einen Reim darauf machen kann, erscheint problematisch. Und es erinnert stark an das NVA-Museum in Prora.
Die letzte Station der Tour in die Vergangenheit war dann aus Zeitgründen (ein Stau auf der Schaabe kostete Unmengen an Zeit) nur im Schnelldurchgang möglich. In Binz konnte man erleben, dass sich aus FDGB-Ferienheimen in Plattenbauweise zumindest äußerlich ganz ansehnliche Hotels machen lassen. Wer allerdings schon mal seinen Urlaub im Inneren des IFA-Parks verbracht hat, wird jedoch die Grenzen dieser kosmetischen Operationen erlebt haben.
Alles in allem hinterlässt die Rügen-Tour zum 20. Wendejubiläum als bei mir ein eher zwiespätiges Gefühl. Ich bin mal auf den Beitrag eines Kollegen vom Deutschlandradio gespannt, der auch den ganzen Tag dabei war und daraus eine Reportage schneidet. Ach ja: Zum Hypethema FKK in der DDR, von einigen Medien groß aufgezogen, wurden auf der ganzen Fahrt gerade mal zwei Sätze gesagt.
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07.09.09
Frau Merkel und die verschwundenen Fischer von Lobbe
Am vergangenen Sonnabend nutzte Bundeskanzlerin Angela Merkel einen Wahlkampfauftritt in Stralsund für einen kurzen Abstecher über die Rügenbrücke auf Deutschlands größte Insel. Zurück zu den Wurzeln. Nein, nicht an die ehemalige NVA-Offiziershochschule "Otto Winzer" in Prora, wo ihre Politkarriere begonnen hatte. Sondern zurück in die Fischerhütte nach Lobbe, wo vor genau 19 Jahren ein denkwürdiges Bild entstanden ist. Das Foto "Die kommende Bundeskanzlerin spricht mit werktätigen Fischern" ist inzwischen sogar als Wandteppich erhältlich.
Am späten Samstagabend twitterte dann die Ostsee-Zeitung einen Link zu einem Bericht über das Wiedersehen nach fast 20 Jahren. Mit durchaus kritischen Untertönen. Sinngemäß so: "Schon damals versprach Angela Merkel viel - passiert ist nichts" und "Heute machte sie wieder Versprechungen". Als ich gestern dazu etwas bloggen wollte, war der Artikel verschwunden. Und ich hatte mir keine Kopie gemacht. Also musste ich warten, bis heute morgen die Ostsee-Zeitung im Briefkasten war.
Und siehe da. Unter der Überschrift "Kanzlerin trifft Fischer" steht da über das damalige Treffen zu lesen: "Sie hatten zwar Sorgen, aber die Hoffnung auf Besserung saß ihnen an einem Wintertag gegenüber." Und "Die Frau kandidierte zum ersten Mal für den Bundestag, hörte sich in dem kleinen Schuppen direkt hinter der Düne, zwischen all den Netzen, die Nöte der Fischer an und versprach zu helfen."
Was dann geschah, ist inzwischen Geschichte. Von den 123 Mann, die zu DDR-Zeiten in der Fischproduktionsgenossenschaft Mönchgut arbeiteten, sind nur noch 16 übrig. Und es werden immer weniger, im nächsten Jahr - das ist schon absehbar - hat die Gager Fischereigenossenschaft nur noch 12 Mitglieder. Schuld sind die Kürzungen bei den Heringsfangquoten, die ein finanzielles Auskommen zum Überleben unmöglich machen. Zaghaft merkt die Ostsee-Zeitung heute an: "Aus der Politik haben die Fischer in den schwierigen Jahren nach der Wende keine Unterstützung erhalten. Auch nicht von der jungen Kandidatin Merkel."
So ganz kann das Lokalblatt, dass auf der Insel ja seine Leser bei der Stange halten muss, die Kritik der Fischer nicht unter den Tisch fallen lassen (auch wenn offensichtlich die erste Fassung des Textes etwas "geglättet" wurde) und zitiert den Vorsitzenden der Fischereigenossenschaft: "Wenn sie damals das getan hätte, was sie versprochen hatte, dann wären wir vielleicht immer noch Fischer." Aber insgesamt - so der Tenor in der neuen Fassung des Berichts, der so klingt, als hätten die PR-Strategen der Bundeskanzlerin daran mitgewirkt - war die Stimmung bei dem kurzen Treffen "dennoch freundschaftlich" und die Kanzlerin hörte sich aufmerksam "erneut die Sorgen eines ganzen Berufsstandes" an.
Nur tun wird sie vermutlich wieder nichts. Der Fischer Hans-Joachim Bull, der auf dem Bild von 1990 hinten links kaum zu sehen ist und nach dem Besuch des jungen Politstars sogar in die CDU eintrat, brachte die Stimmung vor Ort - laut Ostsee-Zeitung - am Sonnabend auf den Punkt, als er die neuen Hilfsversprechen von Angela Merkel so kommentierte: "Diesmal sollte sie sich aber keine 19 Jahre Zeit lassen, dann gibt es nämlich keine Fischer mehr bei uns."
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