23.05.09

60 Jahre Bundesrepublik: Ein paar Gedanken zu den Festtagsreden

Heute wird nicht nur in Berlin der neue Bundespräsident gewählt, an diesem Wochenende finden auch landauf, landab die Feierlichkeiten zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland vor 60 Jahren statt. Kommissar Bratfisch in meinen Rügen-Krimi macht sich dazu auch seine Gedanken. Aber leider verbietet die Spannung ein allzu weites Abschweifen von der Krimi-Handlung. 

Im lesenswerten Blog Rationalgalerie hat sich jetzt der Ex-DDR-Bürger Frank-R. Schark sehr umfassend zu diesem Thema geäußert. Die Überlegungen zu den Festtagsreden der Herrschenden könnten auch von Kurt Bratfisch stammen. Deshalb zur Feier des Tages ein paar Auszüge daraus:

Hinter´m Rücken der unverändert fremden Herren samt Medien-Claque und eingeborener Lakaien greift Frust jedoch auch anders hergeleitet vielerorts anhaltend Raum. Drei von vier der euphorisch Beigetretenen fühlen sich nun noch immer ausgegrenzt, als Bürger zweiter Klasse der real existierenden BRD. Da kann ein verordnetes Brot-und-Spiele-Spektakel „Freiheit und Einheit: 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland“ kaum anderes sein als geschmacklose Parodie der wahren Verhältnisse. Bezeichnung und Datum andererseits spiegeln auf den zweiten Blick ein klares Stück Realität, gewiss nicht ungewollt. Um letzte Zweifel auszuschließen, wer da wen wann was feiern lässt, beginnt nach der peinlichen 60-Jahre-60-Werke-Posse von BILD und Bund als kulturelle Fernumrahmung der Partymeile ebenfalls zum Gründungstag des Teilstaats West, der Wiederkehr zu Staat geronnener Spaltung also, im Germanischen Nationalmuseum nach nur 20 Jahren eine geeinte Retrospektive einst zweistaatlicher Kunst. Sie endet, wer hätte anderes erwartet, noch im September.

Es sind die vielen politischen Signälchen, die Distinktion zementierenden Demonstrativakte, gemischt mit den im Osten besonders anschaulichen Folgen wirtschaftsliberaler Umverteilung, die verkündeter Einheit realiter fest gefügt im Wege stehn. An wohlfeiler Chimäre Liberté darf sich zwar nun auch Zonen-Gurkengabi hemmungslos ergötzen - toujours, gestopft wie in der Pfeife zu rauchen. Ohne wahre Egalité, die setzte freilich schwer erwartbaren, grundsätzlichen Wandel voraus, wird jedoch gewiss keine wahre Fraternité.

So lange der Massenexodus junger Frauen aus ach so toll sanierten Städten und verödenden Dörfern im Hunderttausend-Quadratkilometer-Armenhaus, die größte Menschenumverteilung in Friedenszeiten hierzulande seit der Völkerwanderung, unvermindert andauert, so lange ganze Regionen des Anschlussgebiets nach OECD-Standards als entvölkert zu gelten haben, so lange noch auf jeder Statistik-Landkarte zu Kinderarmut, Lebenserwartung, subjektiver Zufriedenheit, absehbarer Altersnot, Arbeitslosigkeit natürlich, die materiell entfallenen Systemgrenzen überdeutlich ins Auge prellen, so lange ein Homo zonensis als Landesminister in Niedersachsen, Vorstand eines bayerischen Unternehmens oder Chefredakteur einer Zeitung in Baden-Württemberg ganz und gar un-denkbar bleibt, so lange die scheinbar siegreiche Seite noch jede Facette partieller Überlegenheit der „Ehemaligen“ mit demagogischem Dampfhammer nivelliert, so lange vergessen Sie das Einheits-Geschwafel mal getrost.